Deutschland als Autobahnland – eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus Warum der Kampf gegen die Autobahnen auch praktischer Antifaschismus ist

Politik

Interview mit Conrad Kunze, Autor des Buches „Deutschland als Autobahnland – eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus“ zu einem besonderen Jubiläum. Vor 90 Jahren am 23. September begann mit Hitlers Spatenstich der Autobahnbau in Deutschland.

Beginn des Autobahnbaus, 1. Spatenstich durch Adolf Hitler, bei Frankfurt 23.9.1933 (Fotomontage).
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Beginn des Autobahnbaus, 1. Spatenstich durch Adolf Hitler, bei Frankfurt 23.9.1933 (Fotomontage). Foto: image_author

20. September 2023
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UB: Am 23. September 1933 wurde Hitlers erster Spatenstich für die Reichsautobahn von den Nazis inszeniert. Warum sollten wir uns 90 Jahre später daran noch erinnern?

Kunze: Weil nicht nur immer noch Autobahnen gebaut werden sondern auch die Propaganda fortwirkt. Der Glaube an eine Art Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit und für einen Wirtschaftsaufschwung ist im kollektiven Unterbewusstsein fest verankert. Doch, was wir als Mythos Autobahn kennen, war kein Naturereignis. Das war sehr oft wiederholte NS Propaganda.

UB: Warum bringen Sie in Ihrem Buch, die Autobahn mit Nationalismus und Faschismus und Männlichkeitskult in Verbindung zu bringen?

Kunze: Fast Jede sozial wissenschaftliche Studie sollte sich mit Geschlecht und Männlichkeit befassen. Aber ganz sicher alles was mit Autos zu tun hat. Die Bedeutung dessen habe ich erkannt, als ich den Link zu den Futuristen entdeckt habe. Das waren verunsicherte, hoch Privilegierte reiche Männer die im Auto ihre Charakterstütze gefeiert haben, natürlich ohne sie so zu nennen. Was heure die FDP AFD und Fridays for hubraum, die gegen die Umweltbewegung agiert, machen, war also alles schon mal da. Kalter Kaffee möchte man hoffen.

UB: Welche Rolle spielten die Nazis bei der Durchsetzung der vorher gar nicht so populären Autobahn in Deutschland?

Kunze: Sie haben die Reichsbahn zum Einlenken gezwungen. Die hatte vorher die Propaganda für die Autobahn zu stoppen gewusst. Sie haben die Militärs beruhigt, weil die jeglichen Wunsch erfüllt bekamen und ebenfalls nicht mehr eifersüchtig sein mussten. Und sie haben eine Art Strassenbau-Diktatur installiert mit der Enteignung von Land und dem Zurückstellen aller anderen Planungen. In der Weimarer Republik hätte man aus den Gründen keine Autobahn bauen können. Der Bauerfolg ging dann einher mit der Verwandlung vom Eliteprojekt zur Volksautobahn. Ob die Nazis ohne diesen Propagandaerfolg fast 4000 km gebaut hätten, können wir nicht wissen. Aber ich vermute sie hätten sie wie die Thingspiele oder die deutsche Physik still und leise zu den Akten gelegt.

UB: Es gab auch Widerstand von Arbeiter*innen auf der Autobahn. Können Sie dafür Beispiele nennen?

Kunze: Ja es gab viele Streiks. Die sind meines Wissens aber nicht gut dokumentiert weil es sie offiziell nicht geben durfte. Sie hiessen intern dann offene Rebellion. Dass dennoch so viele noch bekannt sind und einmal sogar der Manchester Guardian berichtete, lässt ahnen. dass es sehr viele waren. Oft sind die Forderungen nach Lohnerhöhung oder Wiedereinstellung eines Kollegen oder nach besseren Essen und kürzeren Schichten erfüllt worden. Erstaunlich finde ich auch, wie mutig scheinbar gestreikt wurde wegen Forderungen, die heute fast banal erscheinen. Das obwohl SA und Gestapohaft drohten. Ab Ende der 30er sind auch Arbeiter wegen Streikbeteiligung in Konzentrationslager oder Arbeitslager gekommen, aber soweit ich weiss nur kurz zur Abschreckung. UB: Welche Rolle spielte Zwangsarbeit beim Autobahnbau in Deutschland und welche Bevölkerungsteile waren davon betroffen?

Kunze: Zwang war ab Tag eins vorhanden. Die Arbeiter am 24.9.33 wurden vom Arbeitsamt mit Streichung des Geldes bedroht. Also haben sie mitgemacht. Die KPD-Wählerquote war überdurchschnittlich hoch bei Arbeiter*innen und nochmals höher bei erwerbslosen Handarbeitern. Die Nazis haben Mitglieder der KPD, der SPD und Gewerkschafter*innen auf diese Baustellen gezwungen haben, also ihre politischen Feinde.

UB: Wie veränderte sich der Autobahnbau zu Kriegsbeginn?

Kunze: Ab 1938 und verstärkt 1ss39 wurden KZ Häftlinge und erstmals jüdische Häftlinge zum Autobahnbau gezwungen. Die Arbeitsumstände waren so gefährlich, dass der Autobahnbau wahrscheinlich die höchste Todesquote hatte.

An der Ostfront in der deutsch besetzten Ukraine hat die SS zusammen mit den Baufirmen dann 150.000 Leute zu Tode arbeiten lassen. Diese Durchgangsstrasse 4 oder auch Strasse der SS führt noch heute von Lwiw nach Kiew und Donezk. Insgesamt schätze ich die Zahl der am Strassenbau im Krieg Ermordeten auf 180.000.

UB: Bei der aktuellen Kritik am Weiterbau der Autobahn spielen die von ihnen genannten geschichtlichen Aspekte kaum eine Rolle. Sehen Sie daran eine Schwäche der Bewegung?

Kunze: Mit der Besetzung des Dannenröder Waldes ist die Kritik am Autobahnbau bundesweit gewachsen Aber diese Scheu das Offensichtliche zu sagen, bleibt dennoch. Die Autobahn wurde nun mal von Hitler gebaut. Damit müsste man das Modernitätsversprechen entlarven. Das wäre dann so eine Art Aufarbeitung des Mythos Autobahn. Das steht noch völlig aus.

UB: Wäre also der Kampf gegen die Autobahn auch ein Beitrag zum Antifaschismus?

Kunze: Ja, in Deutschland ist er das. Es war nun mal die so genannte Strasse Adolf Hitlers. Und es ist eben kein Zufall, dass viele Reichsautobahn-Videos von rechten Youtubern ins Netz gestellt werden. Die neuen Nazis wissen ganz genau, dass das ihre Architektur ist. Die Beendigung des Autobahnbau nach 90 Jahren, würde den Mythos Autobahn endgültig natürlich begraben

Interview: Peter Nowak

Carlos Kunze (geb. 1981) ist Historiker und Soziologe. Er engagiert sich in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Seit Jahren forscht er zur Geschichte der Autobahn in Deutschland.

Conrad Kuntze: Deutschland als Autobahnland – eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus. transcript, 2022. 460 Seiten. ca. SFr. 55.00. ISBN: 978-3-8376-5943-6.